Wir werden fliegen
Gregor, Susanne
Roman
Frankfurter Verlagsanstalt, 2023
978-3-627-00308-1
251 S.
978-3-627-00308-1
251 S.
Darum geht's: Alan ist verschwunden. Schon wieder. Als Miša die Nachricht von ihrer Mutter erreicht, dass ihr Bruder weg ist, nimmt sie den nächsten Zug von Berlin nach Wien. Eine Kurzschlusshandlung, denn schon im Zug stellt sich ihr die Frage, wozu es gut sein sollte, nach Wien zu reisen, wenn ihr Bruder abgängig ist. Sie macht sich auch keine Sorgen um ihn. "Im Weglaufen war er geübt, genauso aber im Zurückkehren" (S. 9), weiß Miša. Auch ihrer Mutter ist das klar. Nur für Nora, Alans Lebensgefährtin ist es neu.
Als Miša in der Wohnung von Alan und Nora eintrifft, stellt sie unmittelbar fest, dass sie diesen Mann, der hier lebt, gar nicht kennt. Der Alan, der ihr vertraut war, ist nicht mehr hier. Dieser Alan floh schon einmal, kurz vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, als die Familie noch im tschechoslowakischen Žilina lebte. Damals war er der Rebellische von den beiden Geschwistern, währen Miša lieber ihre Nase in Bücher steckte und als die Brave galt. Dann war ihr Bruder plötzlich verschwunden, erlebte nach seiner Flucht gleich mehrere Schicksalsschläge und war nicht mehr derselbe, als die Familie einige Jahre später in Wien wieder vereint wurde. Nun ist er der angepasste Arzt, der ein geregeltes Leben führt, während Miša in verschiedenen Städten unterschiedliche Jobs ausübt und eher rastlos ist, als sesshaft. Dennoch sind beide immer auf der Suche nach Zugehörigkeit und können das Traum dieser Flucht nicht wirklich aufarbeiten und hinter sich lassen. In all ihren Entscheidungen schwingt dieser Teil ihrer Vergangenheit mal unterschwellig, mal offensichtlich mit.
"Ich denke nicht, dass es gesund ist, zu viel Identität an einen Ort zu binden, sagte sie, und er lachte und sagte, ich bin der Letzte, der dir in diesem Punkt widersprechen würde." S. 47
So geht's mir dabei: Ich habe schon den ersten Roman von Susanne Gregor "Das letzte rote Jahr" (Hier geht's zur Besprechung) sehr gern gelesen und mich wirklich auf ihren zweiten gefreut. Vor allem auch, weil ich nun Miša und ihre Familie wieder treffen durfte. Und ich wurde auch dieses Mal nicht enttäuscht. Die Autorin schreibt Bücher so, wie ich sie gerne lese. :-) Ich fand es sehr spannend, zu erfahren, wie es nach der Wende weitergegangen ist. Welche Erwartungen erfüllt, enttäuscht, übertroffen wurden. Auch wie es denen ergangen ist, die zurückgeblieben sind, die es nicht in den Westen zog. Wie sich die Rückkehr an den Ort ihrer Kindheit anfühlt, erfahren wir, als Miša eine Zeit lang bei ihrer Oma wohnt, nachdem sie in Wien ihr Studium abgebrochen hat.
In dem Buch geht es um so wichtige Themen wie Familie und das Band, das trotz aller Geschehnisse, schlussendlich doch nicht abreißt. Es geht um das Gefühl, daheim zu sein, das sich nicht nur an einem Ort einstellen kann, an dem eine Person aufgewachsen ist. Es geht darum, wie sehr sich Entscheidungen auf das eigene Leben aber auch auf das der Mitmenschen auswirken können. Und es geht nicht zuletzt um die Kunst zu Leben, darum, das Leben zu genießen und die Freiheit anzunehmen, so gut es geht.
Geht's kurz und knapp? Ein wundervolles Buch, eine einfühlsame Geschichte über die Zurechtfindung in einer neuen Gesellschaft am Beispiel einer Familie aus Žilina.
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Ich bedanke mich bei der Frankfurter Verlagsanstalt für das Rezensionsexemplar.
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