Das letzte rote Jahr

Gregor, Susanne


Roman

Frankfurter Verlagsanstalt, September 2019
222 S.
ISBN: 978-3-627-00263-3



Darum geht's: Die 3 Freundinnen Miša, Rita und Slavka leben in einem Wohnblock in Žilina. Sie sind 14 Jahre alt und beginnen sich langsam von Kindern zu jungen Erwachsenen zu verändern. Dass die Mädchen dabei ein ganz unterschiedliches Tempo an den Tag legen und sich auch ihre Interessen in verschiedene Richtungen entwickeln, ist für Miša nicht immer leicht zu verstehen und vor allem zu akzeptieren. Sie vermisst ihre 3er-Freundschaft aus Kindertagen, kann nicht nachvollziehen, wieso ihre Freundinnen plötzlich so viele Geheimnisse vor ihr haben und findet sich selbst in einem Geflecht aus Unsicherheit und Ängsten wieder.

Soweit ist das noch nicht sehr außergewöhnlich für Kinder im Prozess des Erwachsenwerdens. Aber hier kommt erschwerend hinzu, dass die Eltern zunehmend von politischen Entwicklungen reden, die ihnen Sorgen bereiten. Und noch schlimmer: Wenn sie dann nicht mehr darüber reden. Dadurch bleibt Miša allein mit den bruchstückhaften Dingen, die sie im Unterricht, im Dialog mit Freunden oder in den Nachrichtensendungen des Westens erfährt. Sie merkt, dass ein Umbruch stattfindet. Eine Grenze in Ungarn zu Österreich wurde offenbar geöffnet.
"Radek begann zögernd zu erzählen, irgendwo bei Sopron wurde tatsächlich eine Grenze geöffnet, innerhalb weniger Stunden wären Hunderte Deutsche geflohen, bevor sie sie wieder geschlossen hätten (...) In meinem Kopf begann sich alles zu drehen. Ich dachte daran, Rita zu verlieren, an Slavka und ihren Knöchel, an meinen Vater und an Genosse Brzda und die verdammte Waschmaschine, an das Misstrauen in Hanas Augen, als sie davorstand - es war, als wäre all das von Radeks Neuigkeiten irgendwie betroffen (...)." S.142/143
Ritas Eltern sprechen von einer Flucht in den Westen, was einen Keil zwischen Rita und ihre Eltern treibt und wiederum Rita zu gefährlichen Handlungen animiert. Slavkas Vater, der im Westen lebt, wird mehr und mehr Thema bei Slavka und ihrer Mutter und sie sprechen davon, sich bald wiederzusehen. In Mišas Elternhaus wird über solche Entwicklungen nur geschwiegen, da ihr Vater zu sehr unter Beobachtung hoher Parteifunktionäre steht, was wiederum Miša frustriert.

Schließlich kommt der Herbst, in dem die Grenzen geöffnet werden und nachdem nichts mehr so sein wird, wie es war.

So geht's mir dabei: Ich konnte mich immer schon für die sogenannte "Wendeliteratur" begeistern. Dieses Thema finde ich einfach interessant und so habe ich mich sehr auf dieses Buch gefreut. Und ich wurde nicht enttäuscht. Susanne Gregor schreibt von den Entwicklungen im letzten Jahr vor der Wende. Und zwar von den Entwicklungen für junge Menschen, die bis dahin nicht viel mit Politik zu tun hatten und die Gegebenheiten in ihrem Staat erst mal einfach so hinnahmen, wie sie eben waren.

Sie erzählt, wie drei Mädchen langsam verstehen, was es bedeutet, nicht vollkommen frei zu sein und wie ihnen klar wird, dass es da "drüben" eine Welt gibt, die noch viel mehr zu bieten hat. So viel, dass sich eine Flucht dorthin womöglich auszahlt.

Dadurch, dass wir Leser*innen Miša so gut kennen lernen dürfen, wird uns verständlich gemacht, wie sehr ihre Welt in diesem Jahr durcheinandergerüttelt wird. Freundschaften verändern sich, Körper verändern sich, Freundschaften der Eltern gehen zu Bruch, der Bruder wendet sich ab, sie selbst verliebt sich zum ersten Mal, der Weg, den sie mit ihren Interessen einschlägt, scheint für niemanden der passende zu sein, außer für sie selbst, politische Geschehnisse werden vertuscht, Gerüchte beginnen zu brodeln und das alles in der aufwühlenden Lebensphase, in der sie sich zum Ende der Kindheit befindet.

Geht's kurz und knapp? Ein wirklich gutes Buch. Locker und flüssig zu Lesen, geschichtlich und menschlich sehr interessant! Zählt zu meinen heurigen Lesehighlights.

Danke an die Frankfurter Verlagsanstalt für das Rezensionsexemplar


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Tyrolia
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Kommentare

  1. Das hört sich wirklich nach einem lesenswerten Buch an! Ich mag "Wendeliteratur" auch sehr gern und finde die Kombination mit dem Aspekt "Coming-of-Age" höchstspannend. :-)

    Vielen Dank für die schöne und zum-Lesen-motivierende Besprechung!

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