Wie du mich ansiehst

Lohmann, Eva

Roman
Julia Eisele Verlags GmbH, München, 2024
ISBN: 978-396161-250-5
233 S. 


Darum geht's:
Es ist das Unsichtbarwerden, das Johanna zu schaffen macht. Die 40 hat sie bereits überschritten, ihre Tochter Rosa ist eine Teenagerin, die im Alltag nur noch wenig Zeit für ihre Mama übrig hat. Ihr Mann ist bei der Marine und oft wochenlang unterwegs. 

Johannas Vater, Karl, ist vor wenigen Monaten gestorben. Er hat seiner Tochter einen kleinen Garten hinterlassen, doch bislang schafft sie es nicht wirklich, dorthin zu gehen, um zu verweilen. Sie weiß generell noch nicht, was sie mit dem Garten anfangen soll. Erst nach einem Streit mit ihrem Mann wird der Garten plötzlich zum Zufluchtsort. 

Johanna ist außerdem die Inhaberin eines Blumenladens und beschäftigt seit Kurzem Ruby, eine jüngere Mitarbeiterin, die frischen Wind in den Laden bringt. Durch ein Gespräch mit ihr kommt Johanna auf die Idee, die Falten in ihrem Gesicht in einem Schönheitsinstitut einer Hyaluron-Behandlung zu unterziehen, um wieder schöner zu sein. Nachdem sie ihrer Tochter seit 15 Jahren versucht, vorzuleben, dass sie schön und gut ist, so wie sie ist, versteht sie selbst nicht wirklich, warum ihr das plötzlich wichtig ist, warum sie diese Entscheidung trifft und was sie sich davon erhofft. Der erste Besuch in der Praxis des Schönheitschirurgen dauert nur wenige Minuten. Unmittelbar verschwindet die "Zornesfalte" auf ihrer Stirn. Beiläufig wird sie außerdem in der Praxis auf den ein oder anderen weiteren Makel in ihrem Gesicht angesprochen, die sie bis dahin selbst gar nicht bemerkt hatte, dann aber nicht mehr aus dem Kopf bekommt. 

Innerlich bereitet sie sich schon auf die überraschte Reaktion ihres Mannes und die Konfrontation mit ihrer Tochter vor, wenn ihnen das Offensichtliche auffällt. Doch zu ihrem Erstaunen erwähnen beide die Veränderung nicht. Sie ist offenbar nicht nur für Fremde unsichtbar geworden, sondern auch für ihre eigene Familie. Wie sie sich damit abfinden soll, weiß sie nicht.

"Warum genau Johanna niemandem außer Ruby erzählt hat von dem Termin, der vor ihr liegt, weiß sie selbst nicht genau. (...) Vielleicht, weil sie findet, dass sie eigentlich »nicht so eine ist«." S. 56

So geht's mir dabei: Das ist bereits das zweite Buch, das ich von Eva Lohmann gelesen habe und ich bin wieder sehr begeistert. Die Autorin schreibt Bücher so, wie ich sie gerne lese. Die beschriebenen Themen sprechen mich naturgemäß sehr an, da ich im selben Alter bin, wie die Protagonistin. Die Frage, warum es wichtig ist, von fremden Menschen wahrgenommen zu werden, kenne ich sehr gut. Einen wahren AHA-Moment hat der Kontrast zwischen dem Wunsch der Tochter, Unsichtbar zu sein, um ihre Ruhe vor den abscheulichen und widerwärtigen Blicken und Kommentaren der (älteren) Männer zu haben, und der Angst ihrer Mutter vor eben dieser Unsichtbarkeit ausgelöst. 

Die vielen Fragestellungen, fand ich sehr empathisch und ich finde es auch schön, dass die Autorin nicht versucht, eine pauschale Antwort darauf zu finden. Wie die Protagonistin mit ihrer jüngeren Mitarbeiterin umgeht, finde ich einfach nur grandios beschrieben und mehr als nachahmungswürdig. Es ist einer meiner innigsten Wünsche, derart aufgeschlossen gegenüber Veränderung und Neuem zu bleiben und dabei andere auch in ihrer Kreativität zu bestärken. Dieser Kontrast ist meiner Meinung nach die herausragende Leistung des Romans: Einerseits hat die Protagonistin Bedenken bezüglich der eigenen Veränderung, andererseits hat sie keine Angst vor der Veränderung, die ihre neue Kollegin mit sich bringt. Außerdem hat sie einerseits Sorgen, dass sie von ihrer eigenen Tochter nicht mehr auf dieselbe Weise gebraucht wird, wie früher. Andererseits merkt sie gerade schmerzlich, wie sehr ihr der eigene Vater fehlt, der seit einigen Monaten nicht mehr lebt, und wie sehr sie ihn im Grunde - trotz ihrer Selbstständigkeit - noch brauchen würde. 

Der Garten als Symbol der Ruhe, als ein Ort des Zu-sich-findens, ist sehr passend gewählt. Die Natur als Antwort auf Vieles, als Zeichen für Abschied und Neuanfang finde ich mehr als nachvollziehbar. 

Geht's kurz und knapp? Diesen ruhigen Roman über das Älterwerden, über Träume, Wünsche, Abschiede und Neuanfänge in der Lebensmitte, habe ich sehr gerne gelesen und empfehle ihn wärmstens weiter. 

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Vielen Dank dem einzigartigen Eisele Verlag für das Zusenden des Rezensionsexemplars. 

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