Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe

Knecht, Doris

Roman

Hanser Berlin, 2023
978-3-446-27803-5
236 S. 



Darum geht's: Die namenlose Ich-Erzählerin steht an einem interessanten Punkt in ihrem Leben. Ihre Zwillinge Mila und Max ziehen in den kommenden Wochen und Monaten beide aus. Sie haben die Matura-Prüfung bestanden, sind flügge geworden und wagen nun diesen wichtigen Schritt in das Erwachsenenleben. Auch der Protagonistin steht ein Umzug bevor. Die aktuelle Wohnung ist viel zu groß und auch zu teuer für sie allein. Und so beginnt ein großes Sichten, Ausmisten, Wegwerfen, Aufbewahren vieler verschiedener Dinge. Einerseits geht es konkret um Möbel, an denen Erinnerungen haften, andererseits um vermeintliche Kleinigkeiten, die in den Untiefen einer Wohnung über die Jahre verschwinden und auch um Gefühle und Gedanken, die auftauchen, wahrgenommen, behalten oder verabschiedet werden. 

Die Mutter der Zwillinge lässt ihr Leben Revue passieren, während sie sich neu orientiert und sortiert. Sie zieht Parallelen zu ihrem jüngeren Ich und denkt an die Zeit, da sie ihrer Heimat Vorarlberg den Rücken kehrte, um nach Wien zu ziehen. Während sie damals alle Bundesländer des Landes zwischen sich und ihre Familie katapultierte, sind ihre Zwillinge nach dem Auszug in Fußnähe erreichbar. Das ist vielleicht mit ein Grund, warum sie nicht so emotional ist, wie es der Großteil der Gesellschaft nun von ihr erwarten würde. 

"(...) ich schickte ihr einen Kuss, während ich die Tür hinter ihr zuzog. Ich weiß, dass ich versuchte, mir bewusst zu machen, dass dieses Türschlließen wichtig war, episch, auf eine gewisse Weise endgültig. Ich wollte es fühlen, abspeichern, schmecken. Aber ehrlich gesagt kann ich mich an den Moment nicht mehr genau erinnern. Ich habe wohl den Schlüssel im Schloss gedreht, und das wars.
Ich ging in Milas Zimmer, um das mit den sentimentalen Gefühlen gleich hinter mich zu bringen, aber da war nicht viel."
(S. 145)

So geht's mir dabei: Doris Knecht hat ein spannendes Thema für ihren Roman gewählt, über das ich bislang selten gelesen habe. Dabei geht es um die Frage, was den Frauen bleibt, wenn die Kinder ausziehen und ein großer Brocken Sorgearbeit plötzlich wegbricht. Manche fallen in ein Loch und werden emotional oder gar krank. Andere versammeln ihre Kinder laufend um sich und machen im Prinzip so weiter wie bisher. Wieder andere kommen klar mit der Veränderung, wissen mit sich etwas anzufangen und freuen sich über die Selbstständigkeit der Kinder. 

Doris Knecht erzählt in diesem Roman von den Gefühlen der Ich-Erzählerin, die in vielen Punkten an die Autorin selbst erinnert und gleichzeitig ein Portrait vieler Personen darstellt, die an diesem Punkt in ihrem Leben stehen. Dabei ist sie nicht wertend gegenüber anderen Einstellungen und Erfahrung. 

Sprache und Aufbau des Romans haben mir sehr gut gefallen. Die kurzen Kapitel mixen das Hier und Jetzt mit der Vergangenheit und der Zukunft, was den Roman flüssig und spannend macht. 

Geht's kurz und knapp? Wen das Thema interessiert, wie es Eltern damit geht, dass die Kinder ausziehen, ist mit diesem ehrlichen Roman gut beraten. 

Hier kannst du das Buch gleich direkt bei der Tyrolia Buchhandlung bestellen. Damit unterstützt du den stationären Buchhandel und meinen Blog. Danke!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Das Geburtstagsfest

Wenn du mich heute wieder fragen würdest

Rückwärtswalzer