Lügen über meine Mutter

Dröscher, Daniela

Roman 

Kiepenheuer & Witsch Verlag, August 2022
ISBN: 978-3-462-00199-0
442 S. 

 


Darum geht’s: Es sind die 1980er Jahre in der Provinz des rheinland-pfälzischen Hunsrück. Die siebenjährige Ela lebt gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester auf dem Hof der Großeltern väterlicherseits. Erst scheint die Kindheit recht unbeschwert, wenngleich Ela schon früh immer wieder Streits zwischen den Eltern mitbekommt. Meist wird sie dabei fortgeschickt und so weiß sie selten, worum es eigentlich geht. Nach und nach wird ihr allerdings klar, dass das Gewicht ihrer Mutter eine Rolle spielt und scheinbar ein Problem ist. Der Vater macht die Figur seiner Frau für sämtliche Missstände verantwortlich, die ihm selbst widerfahren: Die Beförderung im Beruf, die er nie erhält, der soziale Aufstieg, der ihm verwehrt bleibt, die Anerkennung in der Dorfgemeinschaft, die er nicht erfährt. Die Körperform der Mutter wird am laufenden Band vom Vater kommentiert und auch zunehmend kontrolliert, in dem sie sich wöchentlich vor ihm abwiegen muss. Je frustrierter der Vater ob irgend eines Themas ist, desto mehr rückt das Gewicht der Mutter in seinen Fokus.

"'Guck dich doch an. Wie du aussiehst.'
Mein Vater musterte sie, und auch ich besah meine Mutter augenblicklich eingehender. Ich staunte. (...)
Jetzt (...) fiel mir auf, dass sie in den letzten Wochen einen richtigen kleinen Bauch bekommen hatte. Den Reißverschluss an der Rockseite bekam sie gerade noch bis zur Hälfte zu. Wie konnte das sein? So streng, wie sie Diät hielt?" (S. 109)


Die Mutter versucht, Stärke zu beweisen. Einerseits mit Worten und ihrer inneren Haltung, andererseits mit Diäten, Sport und letztlich gar mit einem medizinischen Eingriff, der nicht ungefährlich ist. 
Schließlich erbt die Mutter sehr viel Geld und es scheint, als würde ihr Körper aus der Schusslinie des Vaters geraten. Endlich können jene Statussymbole erworben werden, von denen er sich so viel erhofft. Während er sich ganz aufs ‚Geld ausgeben‘ konzentriert, versorgt die Mutter die beiden Kinder, ein Pflegekind und ihre pflegebedürftige Mutter. Für sich selbst bleibt keine Zeit, bis sie krank wird…


So geht’s mir dabei: Das Buch schildert die Geschichte aus der Sicht des Kindes damals und, dank der Rückblicke nach jedem Kapitel, auch aus Elas Sicht als erwachsene Frau.
Besonders schmerzhaft dabei ist es, als Leser:in zu erleben, wie sich der Blick des Kindes an den des Vaters anpasst. Ela fand ihre Mutter wunderschön. Sie bewertete den Körperumfang nicht. Erst mit der Zeit, durch die unzähligen verletzenden, abschätzigen Kommentare des Vaters, trübte sich auch ihre eigene Sichtweise und sie fängt an, sich für ihre Mutter zu schämen. Dass die Mutter trotz allem als sehr starke Persönlichkeit dargestellt wird, ist eine wahre Glanzleistung dieses Romans, der sowohl sprachlich als auch stilistisch überzeugt.


Geht’s kurz und knapp? Ein aufklärender Roman einer Generation von Frauen und Frauenbildern, der das Patriarchat anprangert und zu Recht auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2022 stand.

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