KEIN Pausenbrot, KEINE Kindheit, KEINE Chance

Wie sich Armut in Deutschland anfühlt und was sich ändern muss

Thiel, Jeremias

Sachbuch

Piper Verlag, 2020
224 Seiten
ISBN: 978-3-492-06177-3

Heute ist Welttag des Buches. Das nehme ich zum Anlass, um euch ein Buch vorzustellen, das anders ist, als alles, das ich bisher hier auf meinem Blog vorgestellt habe.

Das Buch hat Jeremias Thiel geschrieben, ein junger Mann, der damit die Politik und die Gesellschaft aufrütteln will, der Denkanstöße geben will, damit anderen geholfen werden kann. Nämlich den Schwächsten unserer Gesellschaft. Den Kindern, die von Armut betroffen sind. Und dabei geht es um die Armut vor unserer Haustür.

Jeremias Thiel war als Kind selbst von Armut betroffen. Seine Eltern waren durch ihren gesundheitlichen Zustand nicht in der Lage, arbeiten zu gehen und die Familie musste von "Hartz IV", wie es in Deutschland heißt, leben. Als Langzeitarbeitslose mit psychischen Problemen waren sie mit ihrem eigenen Alltag oft überfordert. Deshalb musste Jeremias bereits in Kindertagen die Verantwortung für die ganze Familie übernehmen. Er hat den Alltag so gut es ging gemeistert. Hat sich um seinen Bruder gekümmert und darum, dass Essen im Haus war. Mit 11 Jahren wurde ihm diese Verantwortung zu viel und er hat sich selbst an die Jugendfürsorge gewandt und um Hilfe gebeten, die er auch bekommen hat.
Die kommenden Jahre verbrachte er in einem Jugendhaus des SOS Kinderdorfs. Hier durfte er erstmals erfahren, wie es sich anfühlt, wenn Erwachsene die Verantwortung für ihn übernehmen. Er wurde unterstützt und hat zu seinen Betreuer*innen teilweise eine enge Bindung aufgebaut. Zumindest so eng, wie sie für ein Kind, das schon so früh erwachsen werden musste, möglich war. Obwohl es ihm seine Familie - allen voran seine Mutter - übel genommen hatte, dass er sie verlassen hatte, ist er danach nicht wieder zu ihnen zurück gekehrt, wenn er auch sporadisch Kontakt zu ihnen hatte.

Einer seiner Lehrer hat sein Potential erkannt und ihn dazu ermutigt, sich beim UWC, dem United World College in Freiburg, zu bewerben. Hier wurde er aufgenommen und war im Internat untergebracht und zusätzlich wurde er einer Gastfamilie vorgestellt, die ihn sehr herzlich aufgenommen hat und wo er erfahren durfte, was es heißt, wenn andere Menschen einen unterstützen, ermutigen und einfach für einen da sind. Nur um des Unterstützen Willens.

Nach dem Abschluss dieser Schule wurde er 2019 an dem St. Olaf College in Northfield in der Nähe von Minnesota, USA, aufgenommen, wo er seit September 2019 studiert. Er interessiert sich sehr für Politik und möchte es unbedingt schaffen, durch sein politisches Engagement beim Thema Kinderarmut in Deutschland etwas bewirken zu können.

"Im Folgenden stelle ich eine Reihe von politischen und sozialen Ideen vor, die ich ganz persönlich für sinnvoll halte, um...
  • Kinder bestmöglich zu versorgen,
  • Kindern optimal aus Armutsbedingungen herauszuhelfen,
  • Kinder in ihrer individuellen Entwicklung zu fördern und 
  • Potenziale bei Kindern zu erkennen."

Er weiß, dass er schon ganz viel geschafft hat. Dass er schon oft von tollen Menschen unterstützt wurde und dass er deswegen heute dort ist, wo er ist. Aber die Einsamkeit begleitet ihn ständig. Die Verwurzelung in einer Familie fehlt ihm vor allem dann, wenn andere Pläne für die Weihnachtsferien schmieden oder überlegen, wie sie die Sommer verbringen werden.

Ein emotional aufwühlendes Sachbuch, das ich nur empfehlen kann. Wenn man selbst nicht betroffen ist, weiß man viel zu wenig über dieses Thema. Auch wenn die politische Grundlage in diesem Buch von Deutschland beschrieben wurde, ist es für mich als Österreicherin hoch, sogar höchst interessant. Ich hasse dieses Ungleichgewicht in unserer Gesellschaft. Während die einen Kinder in ihrem Überfluss ersticken und von der Überforderung und dem Überangebot befreit und sogar davor geschützt werden müssen, wissen andere Kinder nicht, was sie in der Pause essen sollen und wann sie ein passendes Paar Schuhe erhalten werden. Und das in so reichen Ländern wie Deutschland. (Ich nehme an, in Österreich ist es nicht viel anders.)

Was aus dem Buch von Jeremias sehr gut hervorgeht, ist der positive Einfluss, den Lehrer, Erzieher und Betreuer auf sozial schwächer gestellte Kinder haben können. Die Ermutigungen und die Motivation, das 'an-ein-Kind-glauben' kann hier so viel bewirken, wie Jeremias Thiel ausführlich erzählt.

"Die erste richtig große Unterstützung bekam ich von meiner Klassenlehrerin in der Grundschule, die nicht nur merkte, dass ich zusätzliche Förderung und Unterstützung brauchte, sondern die auch etwas unternahm, um diese Förderung in Gang zu bringen."

Ein wichtiges Buch, das hoffentlich von ganz vielen gelesen wird, die etwas bewirken können und wollen. Hier ist bestimmt jeder einzelne gefragt.

Danke, Jeremias für dieses Buch und deinen Mut! Danke für deinen Beitrag und alles Gute für dich.

Danke an #netgalleyDe für das Rezensionsexemplar.

Hier kannst du dieses grandiose Jugendbuch bei der Tyrolia bestellen. Damit unterstützt du den lokalen Buchhandel und auch meinen Blog. Danke dafür!

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