Der Zopf

Colombani, Laetitia


Roman

Aus dem Französchischen von Claudia Marquart

Fischer Taschenbuch, April 2019
(Originalausgabe erschien bei Éditions Grasset & Fasquelle, Paris 2017)

283 S.

ISBN: 978-3-596-70185-8



Darum geht's: Drei Frauen. Drei Kontinente. Drei Schicksale.

Smita gehört in ihrem Dorf in Indien zu den "Unberührbaren", den Dalits. Das heißt, dass sie und ihre Familie ein menschenunwürdiges Dasein führen und eigentlich nur auf den Tod und die Erlösung im Jenseits warten und hoffen. Sie ist tagtäglich dafür zuständig, die Exkremente von bessergestellten Menschen aus den Gruben zu heben. Und zwar mit ihren bloßen Händen. Sie weigert sich, ihrer Tochter Lalita dieses "Handwerk" beizubringen. Sie soll um jeden Preis zur Schule gehen. In ihrem Leben soll sie würdig behandelt werden. Für dieses Vorhaben nimmt sie eine riskante Flucht auf sich, die sie beide ihr Leben kosten kann.
"Aber nicht Smita. Nicht heute.
Ihr eigenes Schicksal nimmt sie wie eine grausame Fügung hin. Doch ihre Tochter werden sie nicht kriegen. Das hat sie sich geschworen, vor diesem Altar, der Vishnu geweiht ist, in der Mitte ihrer düsteren Hütte, wo ihr Mann bereits schläft. Nein sie werden Lalita nicht kriegen." (S. 90)
Giulia lebt mit ihrer Familie auf Sizilien und arbeitet im Familienunternehmen mit. Die Perückenfabrik der Lanfredis in Palermo ist eine der letzten ihrer Art. Als Giulias Vater einen Unfall hat und im Koma liegt, erfährt sie aus seinen Unterlagen, dass die Firma ruiniert ist und vor dem Aus steht. Nun liegt es an ihr, Entscheidungen zu treffen, die ihrer Familie nicht recht sind, abzuwägen, was ihr Vater dazu sagen würde und noch dazu einem Ratschlag eines Fremden zu vertrauen, der ihr Geheimnis kennt und nicht nur ihr berufliches Leben neu aufstellt.
"Das Schicksal scheint nicht von den Lanfredis abzulassen, denkt Giulia bitter, wie das Erdbeben damals, das gleich mehrere Male an derselben Stelle mitten in Italien wütete.
Der Unfall ihres Vaters hat die Familie schwer erschüttert - der Niedergang der Werkstatt wird sie vernichten." (S. 162)
Sarah ist eine kompromisslose Anwältin, der ihr Beruf über alles geht, die rund um die Uhr arbeitet und demnächst Partnerin in ihrer renommierten Kanzlei in Montreal werden will. Trotz ihrer drei Kinder steckt sie ihre ganze Energie in die Arbeit als Anwältin und überlässt die Erziehung einer männlichen Nanny. [Sorry....mir fehlt hier grad tatsächlich das Wort!! Wie heißen denn männliche Kindermädchen??]

Als Sarah von ihrer Krebserkrankung erfährt, wendet sich das Blatt. Doch ist es nicht ihr Körper oder ihre Konsequenz, die sie im Stich lassen. Es sind die Mitarbeiter. Die Konkurrenten in den eigenen Reihen. Es ist ihr Vorgesetzter, dem klar wird, dass er nicht mehr zu 100 Prozent auf sie zählen kann in den kommenden Monaten und vielleicht Jahren. Diese Tatsache wirft Sarah mehr aus der Fassung als ihr Erkrankung. Als sie ihren emotionalen Tiefpunkt erreicht hat, ist sie gezwungen, ihr Leben zu überdenken. Und das tut sie. Und wie sie das tut.

"Es braucht mehrere Wochen, in denen man sie nicht um ihre Teilnahme an Geschäftsterminen und an Konferenzen bittet, ihr keine großen Fälle mehr anvertraut oder neue Mandanten vorstellt, bis sie die Gewissheit hat: Man ist dabei, sie kaltzustellen.
Diese Form der Gewalt trägt einen Namen, es fällt ihr schwer, ihn laut auszusprechen: Diskriminierung." (S. 203)

So geht's mir dabei:  Wow!! Was für ein Buch. Ich hatte beim Lesen sprichwörtlich Gänsehaut. Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, dass dies schon mal der Fall war. Ich musste die Geschichte nach Beedigung sofort weitererzählen, weil ich so dermaßen begeistert war. Von den einzelnen Schicksalen. Von den starken Frauen. Von der unfassbaren Verflechtung dieser 3 Geschichten, welche die Autorin dann noch vornimmt. Von der Genialität des Aufbaus, des Stils, der Sprache, des Inhalts.

In die einzelnen Schicksalsschläge taucht man ein und sie treffen einen tief im Herzen, obwohl Colombani auf jeglichen Pathos verzichtet. Nichts wird überdramatisiert oder ausgeschmückt. Trotzdem gelingt es ihr, so viel Gefühl in ihre Worte zu legen, alles so "echt" werden zu lassen. Und ihre Schlusssätze nach den einzelnen Kapiteln erzeugen so eine Spannung. Man kann das Buch wirklich nicht aus der Hand legen.

Trotz allem, was den 3 Frauen widerfährt, ist es so ein positives Buch. Es schenkt Hoffnung. Es erweckt Kämpfergeist. Es lässt einen den Hut ziehen, vor der Willenskraft einer Frau. Es macht einfach Mut.

Geht's kurz und knapp? Lest es. Nein wirklich. Lest dieses Buch!! Echt.


Danke Christiane für diesen Tipp!



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Tyrolia
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Kommentare

  1. Wau so ein tolles Buch. Fesselnd und zugleich Freiraum lassend für die eigene Phantasie.
    Danke für die ausführliche Rezession.

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  2. Danke Sabine für die wie immer tolle Rezension. Ich fand das Ende etwas zu vorhersehbar und konstruiert, aber wer sagt, dass es immer anders kommen muss, als man denkt ;-)

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