Der Irrtum des Glücks

Zoderer, Joseph


Roman
Haymon Verlag, 2019
179 S.
ISBN: 978-3-709-934654



Darum geht's: Ein Mann findet nach dem Tod seines Schulfreundes Alexander dessen Aufzeichnungen über seine Liebe und lernt ihn dadurch von einer ihm völlig unbekannten Seite kennen. Er, der Journalist, beschließt, die Gedanken seines Freundes zu veröffentlichen.

Im Zwiegespräch mit sich selbst versucht Alexander seine Gefühle zu erklären. Er war sein Leben lang Single und hat nicht an die Liebe geglaubt, bis sie ihn an seinem Lebensabend mit einer solchen Wucht trifft, dass er nicht recht weiß, wie er damit umgehen soll. Der besondere Umstand, dass die Frau deutlich jünger ist als er, eine Tochter und einen Mann hat, mit dem sie glücklich ist, macht alles noch schwieriger. Allerdings wäre es für Alexander auch nicht vorstellbar, wenn seine Geliebter frei wäre für ihn. Ein Zusammenleben würde ihn erdrücken. Nur die Gedanken an einen gemeinsamen Alltag oder an gemeinsame Reisen, nur die Illusion von ihnen als Paar, macht diese Liebe möglich und erträglich.

"Ich könnte mich geirrt haben... Wenn überhaupt, dann ist es mein schönster Irrtum ... kein Regentag ist so schön, kein Sonnentag, nicht einmal ein Neuschneetag kann schöner sein, als liebend zu irren.
Ich segne mein Schicksal, ein gutes Schicksal hat uns zusammengeführt, obwohl wir nicht zusammengehören. Ein zufälliger Blick auf eine Vorbeigehende an einer Apothekenecke ... du warst die schöne Unbekannte ... dein Gesicht so schmal, taubenweißschmal und zart ... die Augen blau, leuchtend ... ein flüchtendes Geheimnis. Wir haben unsere eigene Ewigkeit an diesem Tag erfunden." (S. 68)

So geht's mir dabei: Ich war von Anfang an begeistert. Das Buch liest sich wie ein Gedicht. Die Formulierungen von Zoderer, den ich als Autor schon seit vielen Jahren schätze, sind voller Gefühl aber ohne jeglichen Schnörkel. Man wird mitgenommen in die Aufgewühltheit, in den inneren Konflikt von Alexander. Ausdrucksstark erfährt man von der Zerrissenheit, von der Wut, von der Enttäuschung, von der Hoffnung und nicht zu letzt von der Liebe des Erzählers.

Aber dann, nach der Hälfte des Romans, wurde es mir plötzlich zu viel. Ich habe das Buch mehr oder weniger am Stück durchgelesen. So vorteilhaft dies für viele Romane ist, weil man sich ganz auf die Geschichte einlassen kann, hier ist es nicht empfehlenswert. Man sollte es wie ein Gedicht lesen. Immer wieder ein paar Seiten und diese dann auf sich wirken lassen. Die geballte Ladung an Gefühl lässt sich schwer auf einmal konsumieren.

"Mein Herz tanzt auf einem Bein um dich herum, schreibt sie. Und ich antworte, mein Herz auf einem Bein mit deinem einbeinigen Herzen. Und sie sagt, unsere Herzen tanzen so lange auf einem Bein, bis wir ins Gras fallen und uns lieben.
Vielleicht tanzen wir in unser Unglück. Es kann ja gar nicht anders sein, denke ich oft." (S. 27)

Geht's kurz und knapp? Lest dieses anspruchsvolle Buch langsam und genießt die poetische Sprache von Zoderer, dann wird euch die Geschichte in eine Gefühlswelt entführen, die nur selten von außen erschaffen werden kann.

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