All das zu verlieren

Slimani, LeÏla


Roman
Verlag: Luchterhand Literaturverlag, Mai 2019
ISBN: 978-3-630-87553-8
Aus dem Französischen von Amelie Thoma



Darum geht's: Adèle lebt mir ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn in Paris. Sie arbeitet als Journalistin für eine Pariser Tageszeitung. Ihr Mann ist Chirurg und versucht, seiner Familie ein "schönes" Leben zu bieten. Er ist auf der Suche nach einem Haus und möchte Paris gerne verlassen. Dieser Gedanke ist für Adèle unerträglich. Sie ist nicht glücklich mit ihrem Leben. Ihr ist ihr Alltag zu fade, ihre Beziehung entflammt kein Feuer in ihr, auch wenn sie ihren Mann liebt und die Verantwortung, die sie als Mutter hat, wächst ihr über den Kopf.

"Ihr Mann verdient gut. Seit er als Gastroenterologe im Hôpital Georges-Pompidou arbeitet, hat er ständig Bereitschaftsdienst oder muss Kollegen vertreten. Sie machen oft Urlaub und haben eine große Wohnung im "schönen 18. Arrondisment". Adèle ist eine verwöhnte Frau, und ihr Mann ist stolz darauf, wie unabhängig sie ist. Sie findet, dass das nicht genügt. Dass dieses Leben klein und erbärmlich ist, ohne jeden Glanz." S. 16

Um ihrem Leben zu entfliehen, führt Adèle ein Doppelleben. Sie besitzt ein zweites Handy, von dem ihr Mann nichts weiß. Sie trifft sich mit anderen Männern. Betrinkt sich, raucht Joints und hat Sex mit vielen verschiedenen Typen. Keiner der Männer bedeutet ihr etwas. Es geht ihr nur um die Tatsache, begehrenswert zu sein und darum, sich zu spüren, weshalb ihre sexuellen Experimente auch immer extremer werden. Und natürlich geht es auch um den Kick, erwischt zu werden. Ihr Leben macht sie immer noch unglücklicher, die Aussicht, Paris zu verlassen, nimmt ihr die Luft zum Atmen, weshalb sie zunehmend unvorsichtiger wird und die Kontrolle verliert. Dabei ist der Gedanke, "all das zu verlieren", mindestens genauso unerträglich für sie, wie der, so weiterzuleben.

"Eine quälende Unruhe hat sich in ihr eingenistet. Sie ist entsetzlich mager, im wahrsten Sinne des Wortes Haut und Knochen. Ihr ist, als würden die Straßen von einer Armee Liebhaber heimgesucht. Sie verläuft sich andauernd. Sie vergisst zu schauen, bevor sie über die Straße geht, und wird vom lauten Hupen aufgeschreckt. An einem Morgen, als sie aus dem Haus gekommen ist, hat sie geglaubt, einen verflossenen Geliebten zu sehen. Ihr Herz ist stehen geblieben, sie hat Lucien auf den Arm genommen, um ihr Gesicht zu verbergen. Dann ist sie schnell losmarschiert, in die falsche Richtung." S. 112

So geht's mir dabei:  Das Buch hat so gut angefangen. Es ist spannend, man kann es kaum erwarten, weiterzulesen. Man will wissen, wie sich das Leben von Adèle entwickelt. Man kann irgendwie nicht zusehen dabei, wie sie sich quält und schafft es aber auch nicht, wegzusehen. Doch irgendwann war bei mir der Punkt erreicht, da es mir zu extrem wurde.
Mir fehlte der Hintergrund, der Adèle zu ihren Exzessen getrieben hat. Ich wurde zunehmend "grantiger" auf sie. Verärgert, mit in Falten gelegte Stirn habe ich das letzte Drittel des Romans gelesen.
Am liebsten hätte ich sie mal geohrfeigt und ihr gesagt, dass sie im 21. Jahrhundert in Paris lebt. Wenn ihr Leben so verkehrt ist, soll sie's doch ändern. Ihr stehen alle Türen offen. Ihr Sohn, der ihr eh nur eine lästige Pflicht ist, ist bei seinem Vater auch bestens aufgehoben und er wäre nicht der erste und einzige, der von Kindermädchen erzogen wird. Sie schiebt ihn ohnehin ständig nur ab. Sie könnte ohne weiteres ausbrechen, unabhängig, wie sie ist.
Stattdessen tut sie sich und ihrem Körper Sachen an, die mich mehrmals erschaudern ließen. Ich habe ihr großes Leid nicht gesehen und nicht verstanden.
Ich war wirklich sehr froh, als das Buch fertig war. Mir ist die Geschichte an die Nieren gegangen. Teilweise habe ich auch richtig schlecht geschlafen. Und mir fehlt einfach das Verständnis für Adèle. Solche Geschichten werfen in mir immer die Frage auf, warum der Mensch mit seinem Glück nichts anfangen kann? Man mag entgegnen, dass ein Leben in Paris, eine Arbeit als Journalistin, ein gesundes Kind und ein Ehemann, der seine Familie liebt, eben für Adèle nicht "das Glück" bedeuten. Ok. Aber sie hat noch dazu die Freiheit, alles zu ändern, was sie will. Sie bräuchte dafür weder sich selbst noch ihre Familie quälen. So eine Lethargie und dieses "Sich-suhlen-im-eigenen-Unglücklichsein" ist für mich nur schwer zu ertragen.

Geht's kurz und knapp: Die Sprache von Slimani finde ich großartig. Mit dem Lebensentwurf von Adèle konnte ich im Endeffekt nichts anfangen.

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Tyrolia
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