Die Rache der Vergebung

Schmitt, Eric-Emanuel.

Erzählungen

Darum geht's: 4 Erzählungen von menschlichen Schicksalen, die die Protagonisten an ihre Grenzen bringen. Zwillingsschwestern, aus denen Rivalinnen werden. Der Direktor einer Bank, der am Ende noch die Chance bekommt, einmal das Richtige zu tun, nachdem er sein Leben lang auf zwischenmenschlicher Ebene versagt hat. Die Gefühle einer geistig zurückgebliebenen Mutter, die so unerträglich ehrlich sind, dass es einem beinahe weh tut, weiterzulesen. Der Mörder von 15 jungen Damen, der seine lebenslange Haftstrafe im Gefängnis verbüßt und in regelmäßigem Abstand von der Mutter, eines seiner Opfer besucht wird. Die Entdeckung eines ehemaligen Soldaten, dass er im Krieg den einzigen Schriftsteller abgeschossen hat, den er jemals verehrt hat: Antoine de Saint-Exupéry, der der Menschheit den kleinen Prinzen geschenkt hat. 
Das sind die verschiedenen Lebensentwürfe von denen Eric-Emanuel Schmitt erzählt. 
"Bist du nicht darüber hinweggekommen?"
"Auf keinen Fall."
"Was?"
"Ich mag meine Wunde."
"Was?"
"Ich pflege meine Trauer, ich hänge an ihr.Wenn sie eines Tages vergehen würde, wäre ich unglücklich!"
"Aber du bist ja jetzt schon unglücklich!"
"Aber auf andere Weise. Es gibt kaltes und warmes Unglück. Das warme ist, wenn du jemanden liebst. Das kalte, wenn du niemanden liebst. In dem warmen Unglück gibt es jemanden. In dem kalten niemanden. Solange ich unter Evas Abwesenheit leide, bleibt sie mir präsent. Wenn ich aufhören würde, darunter zu leiden, dann würde sie ein zweites Mal sterben und voll und ganz verschwinden."
"Aber trotzdem....Es wäre doch besser, wenn sie immer noch da wäre."
"Natürlich. Aber niemand ist für immer da." (S. 294/295)

So geht's mir dabei: Ich weiß nicht, wann mich ein Buch zuletzt dermaßen aufgewühlt hat. Ich spürte teilweise meinen schnellen Herzschlag. Dabei konnte ich mich nicht immer entscheiden, ob es die Spannung war oder die tiefe Betroffenheit, die sich hier bemerkbar machte. Schon immer war ich demütig vor den Meisterwerken dieses Autors. Und mit diesem Buch wurde ich ein weiters Mal in meiner Meinung über Eric-Emanuel Schmitt bestätigt. Seine Sprache wirft mich um. Er schreibt so unfassbar klar und strukturiert, so ohne Umschweife und trotzdem mit so viel Gefühl, dass es einen immer wieder aufs Neue mitten ins Herz trifft. Es ist mir unerklärlich wie man es fertig bringt, in einem Roman mit 4 verschiedenen Erzählungen, dermaßen lebensechte Entwürfe zu erschaffen, die einen gemeinsam mit den Protagonisten an den Rande seiner Emotionen treiben und dabei trotzdem einen Hoffnungsschimmer übrig zu lassen. Denn das ist es was bleibt. Ein tiefes Vertrauen, dass man trotz den furchtbaren Schicksalsschlägen, die einen treffen können, trotz der abscheulichsten Gräueltaten, die man verbrochen hat, noch eine Chance bekommt, um es irgendwie wieder zu richten. Mich lässt der Roman staunend und tief betroffen zurück. Es war ein Mix aus 'Ich muss das heute noch fertig lesen' und 'Ich fühle mich heute nicht in der Verfassung weiterzulesen.'

Geht's kurz und knapp: Ein Roman der unter die Haut geht. Wer sich nicht vor Emotionen während der Lektüre fürchtet, sollte dieses Buch definitiv lesen.

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S. Fischer Verlag, 2018

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