Gewinner Deutscher Buchpreis 2017

Menasse, Robert. Die Hauptstadt


Es ist schon ein paar Monate her, dass ich den Roman gelesen habe. Endlich wage ich mich an eine Rezension dieses großen, dieses großartigen Romans.


Darum geht's: Es geht um Brüssel. Um die europäische Union. Um Europa. Um die Mitarbeiter und Karrieristen im europäischen Parlament. Um die Wirtschaft. Um die Geschichte des Nationalsozialismus. Um einzelne Schicksale und Lebensentwürfe. Und es geht um ein Schwein. Dieses läuft durch Brüssel und erregt allein dadurch ungemeines Aufsehen. Dieses Schwein stellt eine Verbindung einiger der vielen Protagonisten dar.

"Es gab keine Auffälligkeiten, ausgenommen ein Schwein. Ja, ein Schwein. Mehrere befragte Personen, die sich etwa zur Tatzeit in der Nähe des Hotel Atlas aufgehalten hatten, so wie einige Anrainer, gaben an, dass ihnen ein frei herumlaufendes Schwein vor dem Hotel aufgefallen sei. Völlig mysteriös, sagte Kommissar Brunfaut, wir haben nach allen bisherigen Befragungen bei diesem Fall einen einzigen konkreten Anhaltspunkt: ein Schein - und wir wissen nicht einmal, ob dieses Schwein überhaupt etwas mit dem Fall zu tun hat." S. 81

Und um den Einfluss der Europäischen Union auf einzelne Wirtschaftszweige darzustellen, sucht sich Menasse ausgerechnet einen österreichischen Schweinemastbetrieb aus. Der Betreiber, Florian Susman, ist der Bruder eines Mitarbeiters im EU-Parlament, Martin Susman. Über Martin will er natürlich Einfluss für Abmachungen zu den Themen Export/Import erreichen.
Obwohl das Schwein mit all seinen möglichen Wortspielen in Brüssel in aller Munde ist, konzentriert sich die Kommission auf etwas ganz anderes: Sie will ihr schlechtes Image aufpolieren. Mit einem "Big Jubilee Projekt" soll ein Festakt entstehen, der allen in hervorragender Erinnerung bleibt. Fenia Xenopoulou will damit ihre Karriere im Parlament vorantreiben. Martin Susman, der für sie eine Idee entwickeln soll, will zu dem Festakt Holocaust-Überlebende einladen. Der einzige Holocaust-Überlebende, der dafür greifbar scheint, ist soeben ins Seniorenheim übersiedelt.
"Vergessen! Er hatte das Gefühl, vergessen worden zu sein, völlig vergessen von allen Menschen und sogar vom Tod. Aber wen gab es denn noch, der sich seiner erinnern sollte?" S. 154

Wie erwartet, kann man nur scheitern, will man diesen Roman in einer Inhaltsangabe zusammenfassen. Noch dazu in einer "knappen".

So geht's mir dabei: Der Erzähler versteht es, die vielen parallelen Geschichten zu einem großen Ganzen zu verknüpfen. Der ganze Roman ist so komplex und dabei so klar und gut strukturiert erzählt, dass es nicht nur spannend bleibt sondern durch eine gehörige Portion Sarkasmus auch immer wieder laut aufzulachen gilt. Am Ende lässt einen der Autor aber einfach nur nachdenklich zurück.

Geht's kurz und knapp: Eine wunderbare Entscheidung der 2017er Jury des deutschen Buchpreises. Chapeau. Lesen!

Suhrkamp Verlag, 2017
ISBN: 978-3-518-42758-3

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